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Krankheit als Symbol und Sprache der Seele – Teil 2

Nicht nur vom wissenschaftlichen Standpunkt ist die Krankheitsbilder-Deutung mit den vier Ursachen nach Aristoteles umfassender, auch vom spirituellen hat sie mehr zu bieten. Für die großen Religionen und ihre spirituellen Traditionen war Krankheit immer etwas Grundsätzliches.

Dr. Ruediger Dahlke,
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Laut biblischer Schöpfungsgeschichte sind wir Menschen unheil, weil uns noch im Paradies eine Seite genommen wurde. Seitdem sind wir auf der Suche nach unserer "besseren Hälfte" wie der Volksmund sagt. Das Christentum verspricht uns Unheil-Gewordenen dereinst die Rückkehr in die Einheit des Paradieses. Der Heiland vermittelt den Weg zurück zum Heil(igen), dem Paradies oder Himmelreich Gottes, von dem er betont, es liege in uns. Vollkommenheit und folglich auch vollkommene Gesundheit sind demnach erst dort, jenseits der polaren Welt der Gegensätze, möglich.
Die Definition von Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entspricht dem in verblüffender Weise: Gesundheit sei ein Zustand frei von körperlichem, seelischem und sozialem Leid. Folglich gibt es gesunde Menschen höchstens in Anatomie-Lehrbüchern, aber nicht in der modernen Welt-Inszenierung mir ihrer Hektik und ihrem geplanten Stress. Was Menschen auf dem Weg der Selbstverwirklichung selbstverständliche Grundlage des Weltbildes ist, wird so letztlich  von Schulmedizin und Naturheilkunde bestätigt: Der Mensch ist krank. Gesundheits- sind in Wahrheit Krankheitsstatistiken und offenbaren, dass der deutsche Durchschnittsbürger in einem Vierteljahrhundert 2 lebensbedrohliche, 20 schwere und noch 200 mittelschwere bis leichte "Krankheiten" durchmacht. Mit immer raffinierteren Untersuchungsmethoden findet die Schulmedizin heute überhaupt keinen wirklich ganz Gesunden mehr. Unter 1000 Befragten sogenannt Gesunden ist keiner, der nicht doch irgendwelche Beschwerden in sozialer, seelischer oder körperlicher Hinsicht hätte. Naturheilkundler mit noch sensibleren Untersuchungsmethoden wie etwa Elektroakupunktur finden in unseren giftigen Zeiten, wo eine angeblich christliche Politik die flächendeckende Vergiftung der Bevölkerung durch Bayers Glyphosat und andere Scheußlichkeiten noch (unter)stützt, kaum noch jemanden mit ganz normalen Leberwerten. Das Fazit ist überraschend einfach und letztlich sind sich darin alle einig: Der Mensch ist krank. Zu dieser Tatsache kann man in kämpferischer Opposition stehen oder sie akzeptieren, jedenfalls ist Krankheit uns Menschen Aufgabe.
Im ersten kämpferischen Ansatz verbündet sich der Mediziner mit dem Patienten gegen das Symptom und versucht, es so schnell wie möglich zu beseitigen. Diese kämpferische Anti-Haltung der Schulmedizin ergibt sich bereits aus den Bezeichnungen ihrer Waffen beziehungsweise Medikamente, mit denen sie die Krankheitsbilder besiegen will: Antihypertonika gegen Hochdruck und Antikonvulsiva gegen Krämpfe, Antikoagulantien gegen verklumpendes Blut und Antibiotika gegen Erreger, Antipyretica gegen Fieber und Antihistaminika gegen Jucken usw. usf. Was nicht Anti ist, ist wenigstens noch Blocker wie Säure- und Betablocker oder Hemmer  wie ACE-Hemmer.
Mit ihrem ansehnlichen Waffenarsenal kann die Schulmedizin aber trotzdem die Krankheitsbilder nicht aus der Welt schaffen, sondern – nomen est omen – nur beseitigen, denn nach den Erhaltungssätzen der Physik lässt sich einfach gar nichts aus der Welt schaffen.
Beim spirituellen Ansatz, dem „Krankheit als Symbol“ folgt, ergibt sich das Gegenteil: Der Arzt verbündet sich mit dem Symptom und sucht danach, was dem Patienten fehlt, und so seine Symptomatik notwendig machte. Dem Krankheitsbild kommt folglich Bedeutung zu. Aus seiner Symbolik ergibt sich die konkrete Lern- oder Lebensaufgabe.
 


Deutung ist weit verbreitet und eigentlich kein ungewöhnlicher Schritt im normalen Leben. In kulturellen Bereichen ist sie sogar selbstverständlich. Wir sind durchaus daran gewohnt, alles Mögliche zu deuten und sind sogar verstimmt, falls es unterbleibt. Antwortete jemand auf die Frage nach dem neuen Theaterstück wie ein Schulmediziner mit Zahlen, wäre das zwar richtig, aber trotzdem absurd. Dass die Bühne die Maße sechs mal 14 Meter hatte und 2 Meter hoch war, 8 Schauspieler beteiligt waren, drei Männer und fünf Frauen und ihre Kostüme aus x m Seidenstoff und y m Leinen genäht waren und die Bühne mit soundso viel Lux beleuchtet wurde usw. ist tatsächlich wahr, aber völlig nebensächlich. Wir würden ungehalten reagieren, weil wir selbstverständlich eine inhaltliche Deutung erwarten und nicht eine Beschreibung des rein formalen Bereiches.
Was aber beim Theater noch völlig selbstverständlich erscheint, soll es in der Medizin plötzlich nicht mehr sein. Finden sich Patienten einige Tage nach der Erstuntersuchung wieder beim Hausarzt ein, bekommen sie ganz Ähnliches zu hören: ihre Blutuntersuchung hätten folgende (Zahlen)Werte, die Urinprobe jene ergeben, ihr Blutdruck habe den Wert x und der Immunstatus die Werte y bis z. Das Röntgenbild habe Verschattungen in den Bereichen x und y gezeigt und das EKG folgende Befunde ergeben. Warum werden PatientInnen eigentlich nicht ungehalten ob solcher völlig im Formalen bleibenden Ergebnisse. Im Gegenteil zollen sie einem solchermaßen wissenschaftlich unverständlich bleibenden Mediziner auch noch Respekt, obwohl er nur von der Form und nie vom Inhalt redet. Erst wenn der Mediziner diese Befunde deutet und die erlösenden Worte in Form seiner Diagnose spricht, kehrt Sinn ein: "Sie haben eine Lungenentzündung". Nun kommt mit der Deutung auch Bedeutung und erstmals Sinn ins Geschehen.
Die Frage, die sich mir von Anfang an in der Klinik aufdrängte, war: Warum ausgerechnet an diesem Punkt, wo es für den Patienten erstmals wichtig und sinnvoll wird, gleich schon wieder aufhören? Die Medizin von „Krankheit als Symbol“ tut das auch nicht, sondern fragt selbstverständlich weiter nach der Bedeutung der Lunge und jener der Entzündung.
Das jeweilige Organ verrät immer die Ebene der Problematik. Das Thema der Lunge ist Kontakt und Kommunikation, ist sie doch sowohl für den Gasaustausch und wie für die Sprache verantwortlich, die auf der Modulation des Ausatemstromes beruht. Das Problem selbst, hier die Entzündung spricht das Thema an, in diesem Fall einer Entzündung, einen Konflikt: Erreger kämpfen gegen Antikörper und beider Seiten Mittel sind eindeutig kriegerisch und aggressiv. Es wird belagert und gestorben, angegriffen, blockiert und getötet. Die Makrophagen genannten „Großfresser“ verschlingen Erreger im Dienst des Körpers im Ganzen und Antikörper stürzen sich in Kamikaze-Manier auf Erreger und gehen mit ihnen gemeinsam zugrunde.
Eine Lungenentzündung bildet also einen Konflikt im Kommunikationsbereich ab. Häufige Lungenentzündungen auf Intensivstationen können dafür als Beleg dienen. Denn an den Erregern kann es hier nicht primär liegen, werden diese doch nirgendwo mehr verfolgt als gerade hier und natürlich im Operationssaal. Läuft aber alle verbliebene Kommunikation mit der Welt über Plastikschläuche, Sonden, Kanülen und Elektroden-Drähte, ergibt sich daraus für viele ein Kommunikations- und Kontaktproblem, das sich mangels anderer Ausdrucksformen in der Lungenentzündung verkörpert.